Ernährung im Leistungssport ist ein Trendthema. Was aber sind Trend und Marketing und was sind nüchtern betrachtet die Grundsätze, die ein jeder Leistungssportler beachten sollte? Was treibt den Motor an , was ist das richtige Benzin? Der Zürcher Unterländer Dani Hofstetter (44) ist Ernährungswissenschaftler und ehemaliger Triathlon-Profi mit einen Weltmeistertitel über die Langdistanz (2002 in Nizza). Als wäre das nicht genug, gehörte er vor wenigen Jahren zu den sechsbesten Baristas weltweit. «Ein nerdiges Thema, da könnte man Wochen drüber diskutieren.»
Hier geht’s zum stündigen Podcast - Das Gespräch wurde von Sabine im Folgenden zu einer prägnanten Story kondensiert:
Dani Hofstetter zeichnet aus, dass er Dinge immer von zwei Seiten betrachtet – und keine Dogmen aufstellt. Auch darum ist er ein spannender Gesprächspartner zum Thema Sporternährung.
NAVIGATION DURCH DEN DSCHUNGEL
Diskussionen um die Ernährung im Leistungssport werden oft hochemotional geführt. Ernährung sei nicht nur ein funktionelles Thema, sondern habe viele Aspekte, betont Dani Hofstetter. Und das Wichtigste gleich zu Beginn: «Sporternährung darf keine zusätzliche Bürde sein.»
Er ist selbstständiger IOC-zertifizierter ETH-Ernährungswissenschaftler (https://danihofstetter.ch/) und betreut Sportler auf jedem Niveau – bis hin zum Olympia-Medaillengewinner. «Insbesondere im Ausdauersport hat die Ernährung einen direkten Einfluss auf die Leistung», so Dani Hofstetter. Und die Industrie mache sich diesen Optimierungswahn zu Nutze, «dazwischen müssen wir einen Weg finden. Es ist nicht einfach, uns durch den Dschungel zu navigieren.»
Viele stehen vor der Herausforderung inmitten der Informationsflut relevante Fakten filtern zu wollen. Kommt hinzu, dass Ernährung sehr individuell ist und auch die Wissenschaft immer wieder vor Herausforderungen stellt. Die Forschung unterliege gerade im Ernährungsbereich vielen diffusen Einflüssen. «Wir haben heute eine Präferenz für Schwarz-Weiss-Fakten, die Realität ist jedoch oft grau.»
GROSSE VERÄNDERUNGEN SCHRITTWEISE
Wissenschaft, Erfahrung und Menschenverstand zu kombinieren, das sei sein persönliches Rezept als Berater von Athleten: «Es gibt Dinge, die wir uns nicht erklären können. Wenn es wirkt, umso besser. Man sollte sich alle erlaubten Mittel zu Nutze machen. Manchmal muss ich einem Kunden sagen, dass wir nicht alles zum Voraus wissen, aber wir können es zusammen ausprobieren. Damit bin ich bis jetzt gut gefahren.»
Um in diesem Umfeld möglichst viel Klarheit zu schaffen, sei für ihn wichtig, die Dinge zu vereinfachen, praktikable Ernährungspläne zu erstellen, die die Athleten gut allein umsetzen können, ohne in eine Abhängigkeit ihm gegenüber zu geraten. «Ich bin kein Guru», sagt er. «Wir können nicht alles erklären, aber wir können beobachten. Wenn man den Stoffwechsel versteht, findet man eine Lösung – zusammen mit dem Athleten und seinem Feedback.»
Insbesondere für Triathleten gibt es zwei Aspekte der Ernährungausserhalb vom Sport und während dem Training oder Wettkampf, das sogenannte Fueling, das Tanken und Nachtanken. Aufgrund eines Ernährungsprotokolls und eines Gesprächs erstellt Dani Hofstetter einen individuell zugeschnittenen Ernährungsplan, der oft grosse Veränderungen mit sich bringt. «Das Implementieren ist einer der Erfolgsbausteine. Grosse Veränderungen sollten schrittweise geschehen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wenn man über Nacht alles ändert, wird man sich nicht gut fühlen, auch wenn das die richtigen Änderungen sind. Der Trigger ist immer, wenn man einem Athleten, der ein gutes Körpergefühl hat, ein noch besseres Gefühl vermitteln kann.»
FAKTOR KÖRPERGEFÜHL
Die Prinzipien der Energiegewinnung (aerobe und anaerobe Verstoffwechselung der Makronährstoffe wie Kohlehydrate, Fett und Eiweiss) funktioniert bei allen gleich. Unterschiede gibt es in der Ausprägung der Prozesse und der Reaktion des Körpers darauf. «Trotz der Individualität eines jeden, sind die Zusammenhänge nicht so komplex wie sie heute dargestellt werden», so Dani Hofstetter.
Bei einem Ironman gilt: Wer mehr Kohlehydrate aufnehmen kann, ist schneller im Ziel. Das sei durch Studien gut belegt. Doch auch hier ploppt sofort eine Antithese auf. Das Beispiel von Jan Van Berkel, der schnellste Ironman der Schweiz, relativiert dieses Gesetz. Sein Ernährungsstil ausserhalb des Wetkampfs ist eher lowcarb-orientiert. «Ich arbeite nicht mit ihm zusammen, aber ich weiss, dass er gute Erfahrungen mit dieser Ernährungsweise macht, und er hat ja grossen Erfolg damit. Es spricht nichts dagegen, auf das eigene Körpergefühl zu hören.»
Gerade bei der Ausnahme Jan van Berkel «fände ich es spannend herauszufinden, wie er auf eine ausgewogene Ernährungsweise reagieren würde, denn «permanente Low-Carb-Ernährung verschlechtert die Fähigkeit, Kohlehydrate zu verstoffwechseln», so die Gedankengänge von Dani Hofstetter.
DER STOFFWECHSEL-CODE
Auch diese Aussage relativiert Dani Hofstetter sofort. Aus eigener Erfahrung weiss er, dass die Wissenschaft nicht alles erklären kann. Der Anspruch auf die Wahrheit kann nicht immer erfüllt werden, das hat er selbst mit einem medizinischem Problem erfahren, für das die Ärzte nicht den Ansatz einer Lösung hatten. «Wir wissen nicht weiter, haben sie mir damals gesagt. Das war für mich als strukturierter und zielorientierter Typ enttäuschend. Was aber will ich damit sagen? Vielleicht hat Jan van Berkel einen anderen Stoffwechsel, und er hat den Code für sich geknackt. Hut ab, dann macht er genau das, was ich von einem reifen Athleten erwarte. Er sich mit der Materie auseinandergesetzt und für sich etwas herausgefunden, das funktioniert.»
NO SHORTCUTS
Der Markt ist derzeit mit Apps und Devices sowie diversen Blut‑, Stuhl- oder Genetests, die Informationen über den Stoffwechsel liefern, überschwemmt. So können beispielsweise der Salzgehaltdes eigenen Schweiss’ oder der Blutzucker in Echtzeit gemssen werden. Dani Hofstetter sieht diese Angebote differenziert. «Wir bewegen uns in einem Umfeld, in dem wir mit den neuesten Gadgets einen Shortcut finden möchten – für noch mehr Leistung. Es gibt aber keine Shortcuts.» Zweifelsohne liefern diese Apps interessante Fakten, die entsprechend ausgewertet werden müssen, um nützlich zu sein. «Der Weg dahin ist oft nicht so einfach, wie es in der Marketingbroschüre steht.»
Grund für seine Vorsicht ist unter anderem eine Studie der Spitzenläufer am Boston. Vor und nach dem Rennen gaben sie eine Stuhlprobe ab. Die Analyse zeigt, dass sich die Darmflora durch die Belastung am Limit nach etwas über zwei Stunden komplett verändert hat. Kommerzielle Tests berücksichtigen nicht den Zeitpunkt einer Probenentnahme, «darum arbeite ich mit international höchsten Standards, weil auch vieles nicht so Seriöses angeboten wird», hält Dani Hofstetter fest.
KEEP IT SIMPLE
Die Glukosemessung hat er selbst ausprobiert: «Nach drei Monaten sieht man gewisse Trends. Dann wird es allerdings auch teuer, wenn man permanent solche Sensoren trägt. Aber man liest spannende Sachen heraus. Ich reagiere zum Beispiel schnell auf weissen Reis , mein Blutzucker-Spiegel steigt mit Reis viel schneller an, als wenn ich zum Beispiel Pasta esse. Grundsätzlich ist unser Körper fähig, den Blutzuckerspiegel rasch zu regulieren und eine direkte Aussage auf die Leistung zu machen ist schwierig.»
Das Messen des Schweissverlustes kann frei nach dem Motto «Keep it simple» einfach ermitteltwerden, indem man sich vor und nach dem Training wiegt, der Gewichtsunterschied entspricht dem Flüssgkeitsverlust und mittels Kenntnis der recht konstanten Salzkonzentration kennt erruiert man rasch, ob die Natriumeinnahme im Rennen ausreicht, oder ob dies der Grund sein kann, weshalb gegen Ende eines Rennens bspw. regelmässig Magenprobleme die Leistung negativ beeiflussen», so Dani Hofstetter.
STEUERUNG DER NÄHRSTOFFE
Ein weiterer Trend: Die Periodisierung der Ernährung, das heisst die Anpassung der Kohenhydratverfügbarkeitan die Trainingsinhalte. «Das funktioniert», so die Erfahrung des Ernährungsexperten. Durch die Steuerung der Nährstoffzufuhr und damit der Energieverfügbarkeit wird der Trainingsreiz verstärkt. Entscheidend ist die Intensität der Belastung. «Ob ich mit 150 Watt um den Zürisee oder mit 400 Watt die Sattelegg hochfahre, ist ein Unterschied. Da wird jeweils ein anderer Anteil von Kohlehydraten und Fetten verbrannt.» Mit einer gezielten Auswahl der Ernährung, zwingt man Prozesse verstärkt abzulaufen.»
Die Erfahrung zeigt, dass bei dem Gros der Triathleten, die Beruf und bis zu drei Trainings am Tag miteinander vereinbaren, die Kohlenhydratverfügbarkeit ohnehin nicht optimal ist. Ein Nachmittag- oder Abendtraining mit fast leeren Speichern garantiert eine verstärkte Signalwirkung. «99 Prozent der Athleten profitieren mehr, wenn sie eine Leistungsdiagnostik machen und die vorgegebenen Trainingsbereiche einhalten, statt zu überlegen, ob sie vor dem Training einen halben Gel nehmen oder dreiviertel», Dani Hofstetter warnt auch hier vor einer (möglichen) Übersteuerung.
NÜCHTERN LANGSAM LAUFEN
Auch der beliebte Nüchternlauf ist nichts anderes als die Verstärkung des Trainingsreizes: hier die Optimierung des Fettstoffwechsels. Auch hier relativiert Dani Hofstetter: «Einen Nüchternlauf, wenn man am Abend vorher sehr gut gegessen hat, kann man sich schenken. Ich sehe bei ¾ der Athleten die grössere Wirkung im richtigen Grundlagentraining, also im langsam Laufen. Mit einem polarisierten Training holt man viel mehr raus als mit dem Nüchternlauf, der einen hohen Preis hat. Er ist Stress für den Körper, weil man ihm Energie entzieht. Und genau das passiert auch untertags. Man muss sich fragen, ob der Lifestyle überhaupt noch einen Nüchternlauf zulässt.»
Wenn wir uns jedoch einen Weltklasse-Athleten anschauen, der ausgereizt ist – hier geht es um Feintuning – dann kommt «sleep low» (in Bezug auf Kohlehydrate) in Frage. In einer Abendeinheit werden durch intensives Velo- oder Lauftraining die Kohlehydratspeicher entleert. Nach der Einheit werden schnell verfügbares Eiweiss und sättigende, kohlehydratarme Nahrungsfasern zugeführt. Am Morgen stehe dann ein Training im aeroben Bereich ohne Nahrungsaufnahme auf dem Programm, so werde sehr gezielt der gewünschte Effekt erreicht.
HAFER: FÜR ALLE RENNPFERDE
Entscheidend sei, dass nach dem Training so schnell wie möglich Energie zugeführt wird: «Am besten ein Recovery-Shake aus Molkenprotein, welches bereitsaufgeschlüsselt ist. Das erleichtert die Aufnahme und führt zur schnelleren Regeneration.»
Und noch ein Geheimtipp: Haferflocken. «Haferflocken sind glutenfrei, haben ein sehr gutes Kohlehydrat-Spektrum und viel Beta Glucan, eine Nahrungsfaser, die für die Darmflora und die Blutzuckerregulation sehr wertvoll ist. Hafer ist sehr sättigend, man kann Haferflocken salzig und süss zubereiten. Mir verleiden sie nie. Hafer ist eines von den wenigen Superfoods, die ich gelten lassen würde. Hafer ist sexy. Passt für alle Rennpferde!»
KAFFEE: WIRKT!
Zum Schluss: Der Kaffee! Die Liebesbeziehung vieler Triathleten. Dani Hofstetter kommt ins Schwärmen: «Koffein ist eine leistungssteigernde Substanz und wirkt, indem die Adenosin-Rezeptoren im Hirn blockiert werden. Adenosin ist ein Botenstoff, der Müdigkeit auslöst. Der Wachmacher Kaffee hat darüber hinaus Einfluss auf eine verbesserte Muskelkontraktionsfähigkeit und er beschleunigt die Fettverbrennung. Kaffee ist ein Antioxidantien-Lieferant und hat viele weitere positive, medizinisch belegte Eigenschaften. Für den Ausdauerathleten eine Win-Win-Situation, egal ob bei einem halbstündigen Zeitfahren oder bei einem Ironman.»
Kaffee wirkt leistungssteigernd – ideal sind46mg/kg Körpergewicht rund eine Stunde vor Leistungsbeginn – das sind dann schnell mal ein paar Espressi, denn so ein Shot enthält gerade mal 80 mg des Wachmachers.
DAS GEHIRN UND DER WEIN
Anderes gilt für den Alkohol.
«Alkohol ist grundsätzlich Gift, das die Leber verarbeiten muss und während sie das macht, steht sie für keine anderen Funktionen zur Verfügung». Auch hier stellt Dani Hofstetter keine Dogmen auf: «Es ist immer eine Frage der Dosierung. Ich schade mir mit einem Glas Wein nicht, das ist auch erwiesen. Du wirst nicht besser, aber du bist vielleicht entspannter, und dann läuft es besser. Ich sage immer:
«Macht nichts , nur weil es wo steht oder trendy ist. Das Gehirn hat einen wichtigen Einfluss auf unseren Stoffwechsel und die Leistungserbringung. Man sollte daher nie gegen die eigene Intuition arbeiten.»